AMAZON: Queen Victoria:
Die unbeugsame Königin –
Eine Biografie
Queen Victoria: Die unbeugsame Königin – Eine Biografie
Urbach, Karina, C.H.
Beck 2018, 284 Seiten
03.04.19
Zum 200. Geburtstag von Queen Victoria hat es sich die Autorin Karina Urbach nicht nehmen lassen, ihre bereits 2011 bei. C.H.Beck erschienene Biografie um fast 100 Seiten zu erweitern. Neben einem neuen Vorwort gibt es auch ein neues Schlusskapitel.
Die am 24. Mai 1819 als einzige Tochter von Victoire von Sachsen-Coburg-Saalfeld und Edward Augustus, Duke von Kent und Strathearn geborene und nach ihrem Paten Zar Alexander I. benannte Alexandria Victoria bezeichnete rückblickend ihre Kindheit als traumatisch.
Nach dem frühen Tod ihres unsteten Vaters, sah sich Victoria einer vom Leben überforderten Mutter und dem Nachlassverwalter ihres Vaters, Sir John Conroy, ausgesetzt. Dieser wurde der Vertraute ihrer Mutter und versuchte mit Hilfe des sogenannten „Kensington Systems“, Einfluss auf die zukünftige Thronfolgerin auszuüben.
Mit Hilfe ihrer Erzieherin Baronin Louise Lehzen widersetzte sich die Prinzessin, was zu einem jahrelangen Bruch mit ihrer Mutter führte. Auch König William IV. half Victoria und verstarb jedoch einen Monat nach ihrem 18. Geburtstag. Somit stand ihrer Thronbesteigung am 20. Juni 1837 nichts mehr im Weg.
Die junge Königin trat ein schweres Erbe an. Während der politisch turbulenten Zeit hatte die Beliebtheit der Monarchie ihren Tiefpunkt, hervorgerufen durch ihre Vorgänger, erreicht. Und so scheint es auch nicht überraschend, dass man Victoria nicht zugetraut hat, ...“eine erfolgreiche Königin zu werden, geschweige denn, ein ganzes Zeitalter zu prägen“.
Aber auch die zunehmende Industrialisierung und der Bevölkerungsanstieg mit dem damit verbundenen Kampf gegen Armut und Wohnungsnot waren große Herausforderungen. Während ihrer 63jährigen Regentschaft überlebte die Königin noch sehr viel mehr politische Krisen, persönliche Widrigkeiten und diverse Premierminister wie Melbourne Peel, Disraeli oder Gladstone. Ihre Popularität war permanenten Schwankungen unterworfen. Doch die körperlich kleine Frau bewies immer wieder, dass sie eine große globale Herrscherin war, die strenge moralische Maßstäbe setzte.
Geschickt lenkte sie die europäische Politik und sicherte ihrem Land den nationalen Wohlstand.
Die hohe Kunst der dynastischen Diplomatie beherrschte Victoria aufs Trefflichste und wurde durch die Einheirat ihrer Kinder, Enkel und Urenkel zur „Großmutter“ Europas.
Viele Ratgeber und väterliche Freunde standen ihr zur Seite, doch der wichtigste Mann in Victorias Leben war ihr am 26. August 1819 geborener Cousin und Ehemann Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der ab 1857 den Titel Prinzgemahl trug. Im Alter von 17 Jahren traf sie ihn auf ihrer Geburtstagsparty und machte ihm 4 Jahre später – sie war bereits Königin – einen Antrag. Die beiden heirateten 1840.
Victoria, vaterlos aufgewachsen, und Albert, der ohne Mutter groß wurde, ergänzten sich in vielerlei Hinsicht. Ihre Hochzeit war eine für diese Zeit an europäischen Fürstenhöfen selten vorkommende Liebesheirat und die Hochzeitsnacht ein voller Erfolg, die durch die Schwangerschaft mit ihrer ersten Tochter Victoria gekrönt wurde. Und auch wenn ihre Ehe nicht immer unkompliziert verlief, folgten acht weitere Kinder, mit denen sie konsequent deutsch sprach.
Für Victoria waren die Schwangerschaften körperlich und seelisch eine große Belastung. Sie mochte keine kleinen Kinder, hielt nichts vom Stillen und bevorzugte eindeutig die Attraktiven unter ihnen. Vor allem hielten sie die Kinder davon ab, Zeit mit ihrem Mann zu verbringen und zum Regieren kam sie auch nicht. Albert hatte in dieser Zeit zwei wichtige Aufgaben: er stand ihr emotional zur Seite und übernahm viele ihrer offiziellen Aufgaben. Die beiden waren ein gutes Team, das 21 gemeinsame Jahre als heimliche Doppelspitze agierte.
Albert war ein Familienmensch mit einer großen Begabung, die königliche Familie medienwirksam zu inszenieren. Dazu gehörte es, im wahrsten Sinne des Wortes, die richtigen Bilder unters Volk zu bringen, ebenso wie das Reiseprogramm des Königspaars und die Wohltätigkeitsarbeit ganz nach dem Prinzip „Tu Gutes und sprich darüber“. Immer wieder versuchten er und Victoria auch Einfluss auf die Politik zu nehmen und nicht nur „königliches Ornament“ zu sein während sie nach außen hin Parteilosigkeit demonstrierten, die auch heute noch die Popularität des Königshauses ausmacht.
Nachdem Albert am 14. Dezember 1861 an Typhus verstarb, fiel Victoria in schwere Depressionen – ihre Trauer hielt 15 Jahre an. Zeit ihres Lebens trug sie tiefschwarze Kleidung und eine schlichte weiße Haube – ihre Krone setze sie nie wieder auf. In ihrer Trauer schrieb sie fast fanatisch Tagebuch, Briefe und Memoranden und korrespondierte regelmäßig mit ihren Kindern.
Zu Alberts Gedenken ließ sie eine Vielzahl von Denkmälern aufstellen und Orte nach ihm benennen aber sie machte auch Fehler. Nachdem sie sich für unbestimmte Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, wurde ihr schottischer Diener John Brown zu ihrem ständigen Begleiter, was einen gesellschaftlichen Skandal auslöste.
Ab dem 1. Mai 1876 trug sie dank der Bemühungen ihres Premiers Disraeli als erste britische Monarchin zusätzlich den Titel „Kaiserin von Indien“ und lernte daraufhin den indischen Diener Hafiz Abdul Karim, auch der „Munshi“ genannt, kennen. Nachdem John Brown 1883 gestorben war, wurde der Inder der neue königliche Favorit. Ihr vertrauensvolles Verhältnis stieß bei ihrer Familie und den Beratern nicht auf Begeisterung und doch blieb er bis zu Victorias Tod am 22. Januar 1901 an ihrer Seite.
Gemeinsam mit der Autorin begleitet der Lesende Victoria auf ihrem Lebensweg und bemerkt sehr bald, dass sie nicht dem Bild der „unschuldigen“ Königin entspricht. Schon früh in ihrem Leben beweist sie, dass sie unbeugsam ist und ihren Namen „Victoria –die Siegende“ zu Recht trägt. Im Laufe ihres Lebens erlebt man die Königin in unterschiedlichen Rollen: als junge Monarchin, als neunfache Mutter, als Ehefrau an Alberts Seite und schließlich als Witwe von Windsor.
Im Alter entwickelte sie mehr Gelassenheit und war eine liebevolle Großmutter, die sich auch mit den kleinsten Enkeln und Urenkeln beschäftigte. Doch es gab eine Ausnahme: zu ihrem Enkel Kaiser Wilhelm II, dem letzten deutschen König, pflegte Victoria ein eher distanziertes Verhältnis – so nahm er auch nicht an ihrem diamantenen Thronjubiläum teil, das sie im Jahr 1897 feierte. Zu diesem Zeitpunkt umfasste das Britische Empire ein Drittel der Welt und ein Viertel ihrer Bewohner.
Mit ihrem Tod am 22. Januar 1901 endete die Herrschaft des Hauses Hannovers, die mit ihrem ältesten Sohn und Thronfolger Eduard VII. auf das Haus Sachsen-Coburg und Gotha überging, das 1917 schließlich in Haus Windsor unbenannt wurde.
Abschließende Beurteilung:
Die gründlich recherchierte Biografie ist angenehm zu lesen und verfügt über eine Zeittafel, eine Bibliografie, einen Bildnachweis und ein Personenregister im Anhang. Ein Stammbaum und mehrere Fotos verdeutlichen darüber hinaus die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander.
Ein großartiges Stück Zeitgeschichte über das “Viktorianische Zeitalter“ und ein ehrliches Portrait über eine eigensinnige aber auch äußerst charmante Frau, über die man sagt, dass sie über ihr Empire wie eine Mutter und über ihre Kinder wie eine Königin herrschte – eine Frau ohne die die Britische Monarchie wahrscheinlich nicht überlebt hätte.
Die 1968 in Düsseldorf geborene Karina Urbach studierte bis 1992 Geschichte, Politikwissenschaften und Philosophie in München und Cambridge. Nach ihrer Promotion im Jahr 1996 führte sie ihr Weg über Bayreuth und London ans „Institute for Advanced Studies“ an die Princeton University, an der sie seit 2015 forscht. Die habilitierte Historikerin ist eine der besten deutschen Expertinnen für die englische Monarchie seit dem 19. Jahrhundert. Karina Urbach war als Fachberaterin an zahlreichen historischen Dokumentationen der BBC und des ZDF beteiligt. Im Jahr 2016 erschien ihr Buch „Hitlers heimliche Helfer. Der Adel im Dienst der Macht“.
/Ella Freudenreich